Konzept x (Kürze + Prägnanz) = Orientierung

Überschriften müssen zum einen zu dem Text passen, vor dem sie stehen, und zum anderen müssen sie mit anderen Überschriften harmonieren. Außerdem sollen Überschriften Aufmerksamkeit erregen und lenken. Keine Neuheiten – trotzdem finden sich in Anleitungen immer wieder Überschriften wie „Allgemeines.“ Welcher Leser weiß, welcher Inhalt in dem Kapitel „Allgemeines“ zu finden ist? Wer nimmt sich die Zeit, dies zu erkunden?

Orientierung
Vor einigen Jahren habe ich in Berlin (Prenzlauer Berg) gelebt. Ich hatte immer wieder Schwierigkeiten, mich zu orientieren. Dies änderte sich, als ich den Berliner Fernsehturm zu meinem Fixpunkt machte. Den Turm am Alexanderplatz kann man von vielen Stellen in Berlin sehen. Mit einem Blick nach oben konnte ich häufig erkennen, in welche Richtung meine Wohnung lag. Zugegeben, es war die Zeit vor Google Maps, aber auch heute orientiere ich mich in der Hauptstadt immer wieder an dem Fernsehturm. Was ich sagen möchte, in einer unbekannten oder ungewohnten Umgebung suchen wir einen oder mehrere Orientierungspunkte. Was in Berlin der Fernsehturm für mich ist, können auf See Sterne sein. Für den Leser einer Anleitung ist dieses Dokument fremd, unbekannt. An was kann er sich orientieren?

Anleitungen werden häufig selektiv gelesen, sie werden eher als Nachschlagwerk verwendet. Erst wenn ein Problem auftritt, greifen Anwender zur Dokumentation. Dann wollen sie sich schnell orientieren und die gesuchten Informationen umgehend finden. Diese Anforderungen lassen sich mit verschiedenen Mitteln erfüllen. Überschriften sind wichtige Mittel der Orientierung. Sie geben Auskunft über den nachfolgenden Text und über die Textstruktur.

Formulierungsmuster
Das gezielte Suchen nach Informationen beginnt häufig mit dem Inhaltsverzeichnis, wo Überschriften der höheren Hierarchie-Ebenen versammelt sind. Im Inhaltsverzeichnis zeigt sich, ob die Überschriften einem Konzept folgen und z. B. einheitlich formuliert sind. Bezüglich der Formulierungsmuster stimme ich den Vorschlägen der Arbeitsgruppe Technisches Deutsch der tekom zu (siehe Leitlinie der tekom „Regelbasiertes Schreiben – Deutsch für die Technische Kommunikation“). Für Überschriften erster Ebene empfiehlt die Arbeitsgruppe eine nominale Formulierung (wie Bedienung, Montage). Dagegen sollte eine Überschrift zweiter Ebene verbal formuliert werden, wenn sie zu einem handlungsanleitenden Kapitel gehört (wie Gerät aufhängen, Gerät starten). Dagegen favorisiert Ageliki Ikonomidis, nicht substantivierte Verben unabhängig der Hierarchieebene der Überschrift einzusetzen. Der unschlagbare Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass durch das Verb der inhaltsunterscheidende Begriff an den Anfang rückt. Die prägnante Überschriftsformel lautet: Objekt + Verb.
Vorsicht: Verben sind nicht automatisch eine gute Orientierungshilfe.

Beispiel für Überschriften mit Verben:

  • Wechselrichter montieren
  • Wechselrichter anschließen
  • Wechselrichter in Betrieb nehmen

Vererbung
In dem Beispiel steht der Begriff Wechselrichter an erster Stelle jeder Überschrift, aber er hilft wenig. Mit dem Wort Wechselrichter wird weder der Inhalt der Kapitel noch werden die Überschriften differenziert dargestellt. Damit bietet das Wort für den Leser keinen Informationsgewinn. Gleichzeitig blockiert es sozusagen die wichtige erste Position in den Überschriften. Daher kann es in diesem Beispiel ratsam sein, auf den Begriff Wechselrichter in den Überschriften zu verzichten. Andreas Schlenkhoff beschreibt sehr gut die Vererbung innerhalb von Überschriften. „Wenn die Überschrift auf einer übergeordneten Ebene ein klares Orientierungskriterium für die nachfolgenden Überschriften gibt, vererbt sich dieses Kriterium automatisch und braucht in den Überschriften nicht erneut aufgezählt werden“ (Andreas Schlenckhoff, Duden Ratgeber, S. 192). Demnach kann in dem obigen Beispiel auf das Wort Wechselrichter verzichtet werden, wenn zum Beispiel die übergeordnete Überschrift Wechselrichter lautet.

Aussagekraft
Um z. B. Leser zu den Schrittanleitungen für bestimmte Aufgaben zu leiten, hat sich der Einsatz von Verben in Überschriften weitgehend durchgesetzt. Ebenso befolgen viele Redakteure das Gebot, dass Überschriften kurz sein sollen. Leider reicht Kürze nicht immer aus. Wenn ich technische Dokumente begutachte, stolpere ich immer wieder über Überschriften wie „Allgemeines“ oder „Wichtige Hinweise.“ Diese kurzen Einträge unterstützen meines Erachtens den Anwender wenig bis gar nicht. Eine Überschrift soll eine schnelle Orientierung geben und ein gezieltes Auffinden von Informationen ermöglichen. Die Überschriften „Allgemeines“ oder „Wichtige Hinweise“ erinnern mich etwas an Überraschungseier. Keiner weiß, was sich hinter der Verpackung verbirgt. In der einen Anleitung sind unter „Wichtige Hinweise“ beispielsweise Symbol- und Hinweiserklärungen zu finden. Andere Redakteure betiteln Kontaktdaten des Herstellers sowie den bestimmungsgemäße Gebrauch des Produktes mit „Wichtige Hinweise.“ Wahrscheinlich lassen sich noch weitere Informationsarten unter der Überschrift „Wichtige Hinweise“ finden. Mit diesen Beispielen möchte ich verdeutlichen, dass eine Überschrift nicht nur kurz sein, sondern auch den nachfolgenden Text prägnant betiteln muss.

Was ist bei einer Überschrift noch zu beachten? Der Leser muss auch die Informationen wirklich genau unter dieser Überschrift suchen. Dies bedeutet, Überschriften wie auch die gesamte Anleitung sind von der Zielgruppe der Dokumentation abhängig. Nicht jedem hilft der Berliner Fernsehturm bei der Orientierung.
Wenn Sie sich unsicher sind, ob die Überschriften in Ihrem Dokument die Anwender erfolgreich unterstützen. Sprechen Sie mich an, wir finden eine Lösung.

Zum Schluss etwas zum Schmunzeln
Hin und wieder verwende ich den Anagramm-Generator. Bei der Eingabe des Wortes Überschrift wurden u. a. folgende Ergebnisse geliefert:
BEREICH FRUST
SCHREIBE RUFT
SCHREIBT FREU
TREIBER FUCHS
BRUETER FISCH
TRUEBER FISCH
UEBERR FISCHT

2 thoughts on “Konzept x (Kürze + Prägnanz) = Orientierung

  • 15. Juni 2012 um 10:48
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    Schöner Beitrag! Ich stimmt allerdings dem Thema „Vererbung“ nur bedingt zu: Wenn man in seinen Querverweisen den Text der Überschrift angibt, kann es manchmal sinnvoll sein, das erste Wort in jeder Überschrift zu wiederholen.

  • 16. Juni 2012 um 17:21
    Permalink

    Danke für den Hinweis.

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