Ich freue mich, mit dem Beitrag von Markus Nickl den ersten Gastbeitrag begrüßen zu dürfen. Prof. Dr. Markus Nickl gründete nach seiner Promotion zum Thema Verständlichkeit von Gebrauchsanleitungen 1998 die doctima GmbH. Textverständlichkeit, Institutionelle Kommunikation, Organisation von Redaktionen, Softwarelösungen und Social Media bilden Themenschwerpunkte seiner Arbeit. Er publiziert regelmäßig zu diesen Themen. Dr. Nickl berät im Internetforum der tekom Mitglieder zu Fragen der Textverständlichkeit.
Er lehrt an der Justus-Liebig-Universität Gießen zum Themenfeld Technische Dokumentation. Markus Nickl ist als Redaktionsbeirat bei mehreren Fachzeitschriften tätig. Seit 2012 ist er Honorarprofessor an der Universität Aarhus (Dänemark).
In der Kürze…
… liegt die Würze. So, oder so ähnlich habe ich das in den Handbüchern für Technische Dokumentation schon öfter gelesen als mir gut tut. Aber wenn es eine Forderung gibt, bei der Technische Redakteure sich einig sind, dann wohl die, dass Anleitungen, Sätze, Wörter möglichst kurz sein sollen.
Aber mal ehrlich: Ist kurz denn wirklich immer gut? Bei anderen Medien gilt ja eher das Gegenteil. Jedenfalls habe ich noch nie gehört, dass jemand einen Spielfilm gelobt hat, weil er so schön kurz war (und das auch so gemeint hat). Und in der Literatur geht der Trend ja auch nicht zu 20 seitigen Lyrikbänden, sondern eher zu 1000seitigen Romanwälzern. Vielleicht sollten wir also noch einmal über die Forderung nach Kürze nachdenken.
Kurz ist nicht kurz
Was soll nun eigentlich kurz sein? Ein Text hat ja mehrere Ebenen, auf denen man ihn betrachten kann. Und auf jeder dieser Ebenen habe ich schon die Forderung nach Kürze gehört: Kurze Wörter, kurze Sätze, kurze Texte. Klar ist: Wenn man schon kurze Dokumentation anstrebt, dann auf jeder dieser Ebenen. Ein kurzer Text mit langen Wörtern und langen Sätzen hilft nun wirklich niemandem. Und kurze Texte mit langen Sätzen mögen bei Heinrich Kleist interessant zu lesen sein; in der Dokumentation sind sie nicht brauchbar.
Zu wenig betrachtet wird meiner Ansicht nach bei der Forderung nach Kürze die Leserseite. Kurze Dokumentation wird ja oft mit der Zeitersparnis für den Leser gerechtfertigt. Tatsächlich kann der Aufwand für Leser aber durch kurze Texte steigen. Denn die Fakten, die für eine vollständige Information der Benutzer nötig sind, werden dadurch ja nicht weniger. Verteilt man nun diese Information auf viele verschiedene Texte und Teiltexte (wie etwa in einer FAQ), so steigt der Suchaufwand für den Leser. Kurz bedeutet also keineswegs immer schnell gelesen. Und: Wer wirklich kurz informieren will, muss sich umso mehr Gedanken über seine Informationsarchitektur, über Indices und Navigationsstrukturen machen.
Kurz ist nicht einfach
Kürze in Texten erreichen wir prinzipiell auf drei verschiedene Arten:
- Weglassen
Unwichtiges sollte man weglassen. Doch was ist unwichtig? Letzten Endes lässt sich das nur durch die genaue Kenntnis der Zielgruppe entscheiden. - Verdichten
Wenn man dieselbe Information in weniger Sätze verpackt, ist das ein zweischneidiges Schwert. Je nachdem wie schwierig die Information für den Leser ist, wird dadurch der Text verständlicher oder aber komplexer. Ein Paradebeispiel für solche „verdichtete“ Texte liefert die Behördensprache. Hier werden oft Sätze verkürzt, indem die Schreiber viele Nominalisierungen verwenden – nicht gerade ein Zeichen für hohe Verständlichkeit. - Aufteilen
Kürzen lässt sich auch, indem man Texte (aber auch Sätze und Wörter) in einzelne überschaubare Portionen aufteilt. Auch diese Strategie stößt schnell an ihre Grenzen. Ein Handbuch mit sieben Überschriftenebenen und eine FAQ mit mehreren tausend Einträgen sind auch in kleine Portionen aufgeteilt – verständlich ist aber etwas anderes.
Kurz ist nicht (automatisch) lesefreundlich
In den letzten Jahren beunruhigt immer mehr Technische Redakteure die Frage, warum Anleitungen zu selten gelesen werden. Natürlich kann Kürze dabei helfen, zum Lesen anzuregen. Aber wenn durch (zu) kurze Texte die Verständlichkeit sinkt, wenn hilfreiche Beispiele weggelassen werden oder wenn Informationen nur wahllos auf verschiedene Medien verstreut werden, dann ist kurz eben zu kurz gegriffen.