Wieder in einem Hörsaal mit den Klapptischen zu sitzen, erzeugt ein eigentümliches, fast nostalgisches Gefühl. Alles schaut und hört fasziniert einem älteren Mann zu und er legt nacheinander teils handgeschriebene und handbemalte Folien auf den Overhead-Projektor. Ja Folien – kein Beamer oder Power-Point. Insgesamt war es ein erfrischender Vortrag, mit interessanten inhaltlichen Aspekten, die auf sehr unterhaltsame Weise vermittelt wurden.
Narzissmus
Der Kommunikationswissenschaftler Schulz von Thun hat am Mittwoch (20.06. 2012) eine Vorlesung zum Thema Narzissmus gehalten. „Wir sind alle Narzissten – hoffentlich; hoffentlich ein wenig.“ In Zeiten von Selbstmarketing, Exzellenzinitiative für sich selbst scheint das eigene Ich immer stärker in den Vordergrund zu geraten.
Schulz von Thun stellt drei Stufen des Narzissmus vor:
- Gestörter Narzissmus (entsprechend des Krankenbildes)
- Prekärer Narzissmus
- Erfüllter Narzissmus
Auf jede Stufe ging Schulz von Thun ein und demonstrierte ihre Ausprägungen an Hand von Beispielen.
Diabolischer Maßstab
Mich hat der Aspekt sehr beeindruckt, den Schulz von Thun als den diabolischen Maßstab oder Kommunikation bezeichnete. Der Narzisst hat ein Bedürfnis und definiert intuitiv, wie andere Personen sich diesbezüglich zu verhalten haben. Wahrscheinlich werden seine Erwartungen nicht erfüllt. Diese Diskrepanz zwischen seinen Erwartungen und dem Verhalten seiner Mitmenschen empfindet der Narzisst als eine Verletzung, was ihn wiederum wütend macht. In der Regel äußert er sich stark auf der Beziehungsebene und greift seinen Gegenüber an. Die andere Person hat nun mehrere Möglichkeiten auf das narzisstische Verhalten zu reagieren:
- Stumm ärgern, damit wird das Beziehungsmuster bestätigt und festgeschrieben.
- Entrüstet sein, die Emotionalisierung ruft beim Narzissten einen weiteren Angriff hervor.
- Würdigend, den Narzissten auf der Beziehungsebene bestätigen, und gleichzeitig beherzt seine Meinung vertreten.
4 Appelle
Der Vortrag mündete in 4 Punkte, die Schulz von Thun jedem ans Herz legt:
- Freunde Dich mit dem Narzissten in Dir an. Er erinnert Dich daran, dass Du wichtig bist, dass Du als Individuum wertvoll bist. Wenn wir das eigene Licht leuchten lassen, ermutigen wir auch andere zu leuchten.
- Freunde Dich mit den Kellerkindern Deines inneren Teams an. Sie gehören zu Dir und machen Dich menschlich. Sie besitzen Qualitäten, um im Leben zu bestehen.
- Freunde Dich mit den Schwestertugenden des Narzissmus an – Bescheidenheit, Demut, Dienstbarkeit. Dies bedeutet auch ein guter Verlierer sein zu können.
- Freunde Dich mit dem Gedanken an, dass der Gute oder die Gute besser ist als der Perfekte oder die Perfekte.
Fazit
In meinem Veranstaltungshinweis habe ich geschrieben: „Ein Vortrag von Friedemann Schulz von Thun verspricht ein unterhaltsamer, spannender und lehrreicher Abend zu werden.“ Ich sag mal: Erwartungen erfüllt!
Es war ein lehrreicher und unterhaltsamer Abend. Wer die Möglichkeit einen Vortrag des Lehrmeisters der Kommunikation zu erleben, sollte diese nutzen, es lohnt sich.