Gastbeitrag von Marc Achtelig: Dynamische Hilfe

In seinem Gastbeitrag wägt Marc Achtelig die Vorteile und Nachteile von Dynamischen Hilfen ab. In den meisten Fällen ist seiner Meinung nach der Einsatz von Dynamischen Hilfen sinnvoll. Dies demonstriert er anhand von einigen Beispielen.

Marc Achtelig

Marc Achtelig

Ich freue mich, mit dem Beitrag von Marc Achtelig den zweiten Gastbeitrag begrüßen zu dürfen. Marc Achtelig beschreibt seit mehr als 20 Jahren deutsch- und englischsprachige Software. Seit 2004 betreibt er mit indoition engineering sein eigenes Ingenieurbüro für Technische Kommunikation mit Schwerpunkt Software-Dokumentation. Außerdem ist er Autor der englisch-deutschsprachigen Buchreihe „Lösungen zur Technischen Dokumentation“. Auf der diesjährigen tekom-Jahrestagung hält Marc Achtelig einen Fachvortrag über Dynamische Hilfen.

Dynamische Hilfe -Die Hilfe, die schon da ist, wenn sie gebraucht wird

Zu den bittersten Pillen, die ein Redakteur in seinem Berufsleben schlucken muss, gehört wohl die Erkenntnis, dass Benutzer unsere mühevoll erstellten Hilfen nur selten und ungerne lesen – wenn überhaupt, dann nur im äußersten Notfall, wenn es durch „Versuch und Irrtum“ überhaupt nicht mehr weiter geht. Viele wichtige Informationen in unseren Hilfen bleiben unbeachtet, viele Programmfunktionen dementsprechend ungenutzt. Diesem Problem können integrierte, sogenannte „Dynamische Hilfen“ begegnen. Benutzer müssen eine Dynamische Hilfe nicht erst aufrufen. Dynamische Hilfen sind schon da, wenn sie gebraucht werden.
Im Gegensatz zu einer kontextsensitiven Standard-Hilfe erscheint eine Dynamische Hilfe innerhalb des Programmfensters und passt ihren Inhalt automatisch („dynamisch“) an die aktuelle Programmsituation an. Anders als bei einer Standard-Hilfe wechselt also der Inhalt der Dynamischen Hilfe zusammen mit dem Inhalt des Programmfensters und bleibt nicht stehen, sobald die Hilfe einmal aufgerufen ist. Die Dynamische Hilfe liegt neben dem Programmfenster und verdeckt dieses nicht. Gleichermaßen wir die Dynamische Hilfe auch nicht vom Programmfenster verdeckt, wenn der Benutzer darin weiterarbeitet.

Beispiele
In den meisten Fällen erscheint die Dynamische Hilfe rechts neben dem Interaktionsbereich des Programms. Nicht immer trägt die Hilfe explizit den Titel „Hilfe“. Häufig präsentiert sie sich den Benutzern unter unverfänglicheren Titeln wie „Hinweise“ oder „Tipps“ – in der nicht unberechtigten Hoffnung, dass die Inhalte unter diesen Bezeichnungen größere Beachtung finden. Ein typischer Vertreter dieser Gruppe ist z. B. CorelDRAW:

Beispiel: Dynamische Hilfen

Im Beispiel von CorelDRAW bietet die Dynamische Hilfe kurze, handlungsanleitende Informationen. Häufiger enthalten Dynamische Hilfen jedoch Referenzinformationen, insbesondere dann, wenn es für die Benutzer darum geht, erklärungsbedürftige Daten einzugeben. Ein typischer Vertreter dieser Gruppe ist die Dynamische Hilfe des Programms ELSTER für die elektronische Steuererklärung:

Beispiel: Dynamische Hilfen

Manchmal kann eine Dynamische Hilfe auch nur ganz kurz sein, wie auf der Website von Fidelity:

Beispiel: Dynamische Hilfen

Dynamische Hilfen eignen sich nicht immer
Auch wenn Dynamische Hilfen klare Vorteile haben: Sie sind kein Allheilmittel. Es kommt sehr auf das jeweilige Programm und dessen Benutzer an, ob eine Dynamische Hilfe tatsächlich hilft oder eher im Weg steht.
Sehen wir uns zuerst die Vorteile einer Dynamischen Hilfe an:

  • Sie beantwortet Fragen unmittelbar am Entstehungspunkt, am „Point of Confusion“.
  • Sie senkt die Hemmschwelle: Benutzer müssen sich nicht eingestehen, Hilfe zu brauchen.
  • Sie erfordert keine Interaktion: Benutzer müssen sie nicht aktiv anfordern (aufrufen).
  • Durch die Kontextsensitivität ist immer ein enger Aufgabenbezug gegeben.
  • Eine Dynamische Hilfe wirkt als Teil der Software. Damit besitzt sie eine höhere Akzeptanz als eine separate Standard-Hilfe.
  • Eine Dynamische Hilfe kann andere Dokumentationsteile entlasten und damit schlanker machen.

Den Vorteilen stehen folgende Nachteile gegenüber:

  • Die Dynamische Hilfe macht den Bildschirm voller. Wenn Benutzer die Informationen der Dynamischen Hilfe nicht brauchen, müssen sie diese Inhalte mental ausblenden.
  • Es fehlt jede Struktur. Es gibt weder eine Hierarchie noch eine Sequenz.
  • Es gibt kaum Navigationsmöglichkeiten. Inhaltsverzeichnis, Index und Suche fehlen (umsetzungsabhängig).
  • Die Erstellung einer Dynamischen Hilfe wird nicht von allen Help Authoring Tools direkt unterstützt.
  • Die Implementierung erfordert eine enge Abstimmung zwischen UI-Design, Entwicklung und Dokumentation.

Ob die Vor- oder Nachteile überwiegen, hängt stark vom jeweiligen Programm und dessen Nutzung ab.

Die Vorteile überwiegen:

  • wenn die Informationen tatsächlich häufig gebraucht werden
  • wenn die Informationen erfolgsentscheidend sind
  • wenn die Informationseinheiten kurz sind und im Kontext bleiben (z. B. keine übergreifenden Handlungsanleitungen)
  • bei Benutzern, die ansonsten keine Dokumentation lesen
  • auf Geräten und in Programmen mit ausreichend Platz

Dies ist insbesondere in folgenden Szenarien der Fall:

  • zu Beginn der Nutzungsdauer eines Produkts
  • bei nur sporadisch genutzten Produkten
  • bei Produkten mit besonders geringer Bereitschaft zur intensiven Einarbeitung (z. B. bei Web-Anwendungen)
  • bei Produkten, die die Eingabe spezieller Daten erfordern

Nicht ohne Grund gibt es zum Beispiel in Programmen für die persönliche Steuererklärung so häufig Dynamische Hilfen:

  • Diese Programme werden nur sporadisch genutzt (genau einmal pro Jahr).
  • Die einzugebenden Daten erfordern einen hohen Anteil an Referenzinformationen.

Erstellung und Gestaltung
Wenn Sie noch mehr über Dynamische Hilfen erfahren möchten, insbesondere, wie Sie Dynamische Hilfen erstellen und gestalten können, ist für Sie vielleicht auch mein Fachvortrag auf der diesjährigen tekom-Jahrestagung interessant. Ich würde mich freuen, Sie dort zu treffen. Die Tagung findet vom 6. bis 8. November in Wiesbaden statt.

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