Wunsch: Selbstbewusste Redakteure

Im Interview schildert der Rechtsanwalt Jens-Uwe Heuer die Umsetzungspraxis des Produktsicherheitsgesetzes und erklärt, warum die DIN EN 82079-1 ein Kompromiss ist. Abschließend verrät er, wieso er sich selbstbewusste Redakteure wünscht, die sich nicht verbiegen lassen.

Jens-Uwe Heuer

Ich freue mich, mit Herrn Heuer meinen ersten Interviewpartner begrüßen zu dürfen. Jens-Uwe Heuer ist für die Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Hannover tätig. Als Partner berät er dort unter anderem zu Produktsicherheit und Produkthaftung. Für die tekom betreut er im WebForum Mitgliederanfragen zu rechtlichen Themen. In seinem Arbeitsalltag als Rechtsanwalt empfindet er das Bündel an unterschiedlichen rechtlichen Implikationen (Haftungsrecht, Produktsicherheitsrecht, Vertragsrecht) als Herausforderung und Würze. Für ihn ist es spannend, dass bei jedem Fall neu zu bewerten ist, um was es sich im konkreten Fall handelt.

Produktsicherheitsgesetz

Britta Görs: Das Gesetz ist ja seit Ende 2011 in Kraft. Bei seiner Einführung haben Sie gesagt, dass mit dem Produktsicherheitsgesetz ein Paradigmenwechsel verbunden ist. Spiegelt sich diese Veränderung auch in der Praxis wieder?

Jens Heuer: Eindeutig. Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel. Das Gesetz wird angewendet. Man sieht immer mehr, dass die produktsicherheitsrechtlichen Vorgaben immer konsequenter eingefordert werden. Die Aspekte der Produktsicherheit werden damit für Unternehmen immer interessanter. Es werden immer mehr Aufsichtsbehörden aktiv.
Heute geht es in Unternehmen nicht mehr „nur“ um einen Haftungsfall. Es kommt vor, dass eine Aufsichtsbehörde in das Unternehmen kommt und u. a. die Dokumentation prüft. Wenn die Behörde nicht zufrieden ist, kann dies zu großen Problemen führen. Das muss man ganz klar sagen. Wenn die Anleitung oder die Maschine nicht dem geforderten Standard entspricht, dann kann die Marktaufsicht entscheiden, dass die Maschine nicht in Betrieb geht. Da haben Sie eine unmittelbare Wirkung und nicht eine theoretische Überlegung oder Abwägung, ob denn jemals irgendetwas passiert kann. Man sieht, der Staat greift immer stärker in das Thema der Produktsicherheit ein.
Durch diese Entwicklungen verschiebt sich die Aufmerksamkeit. Nicht mehr die Bewertung von Risiken eines möglichen Rechtstreits steht im Vordergrund, sondern es müssen konkrete Probleme bearbeiten werden. Wenn ein Marktaufseher in ein Unternehmen kommt und eine Maschine still setzt, dann ist es erst einmal so. Sie können wenig dagegen machen, es gibt kaum Rechtsmittel. Man muss in der Lage sein, so etwas weit im Vorfeld zu erahnen und in kritischen Fällen den Marktaufsehern auch erklären können, warum dies jetzt so aussieht und nicht anders.

Auf europäischer Ebene soll es schon Arbeiten zur Weiterentwicklung des Gesetzes geben. Wie schätzen Sie dieses Unterfangen ein? Wird es nun alle paar Jahre ein neues Gesetz geben?

JH: Nein, ich würde mal nicht sagen, dass alle paar Jahre neue Gesetze kommen. Der Umbau in Richtung Stärkung der Marktaufsicht dürfte in den nächsten drei bis fünf Jahren abgeschlossen sein. Was viel spannender sein wird, ist die Umsetzungspraxis in Europa, gerade was unsere lieben Nachbarn betrifft. Aus Frankreich hört man immer wieder, dass die Marktaufsicht sehr rigide vorgeht und auch sehr formalistisch Dinge betrachtet. Es wird spannend, welche Linie sich in Europa durchsetzt, ob eher eine rigide, formalistische Richtung wie in Frankreich oder eine moderate und pragmatische Umgangsweise wie sie von deutscher Seite praktiziert wird.

DIN EN 82079-1 „Erstellen von Gebrauchsanleitungen“

Die Norm 82079-1 ist ja nun in Kraft und liegt auch in deutscher Sprache vor. Für die tekom haben Sie sich an der Bearbeitung und Kommentierung der Norm beteiligt. Was waren dabei aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?

JH: Einen Normsetzungsprozess auf internationaler Ebene zu begleiten, ist spannend aber auch sehr schwierig. Wir hatten von der tekom-Seite viele Ideen, die Schwierigkeit bestand darin, diese auf internationaler Ebene zu transportieren und durchzusetzen. Bei aller Innovationsfreude, da waren vom Normauftrag her Grenzen gesetzt. Der Auftrag lautete, die Norm zu überarbeiten und nicht neu zu schreiben. Vielen von uns hat es, salopp gesagt, in den Fingern gejuckt, nun alles richtig zu machen. Da muss man sagen, dies lässt sich international nicht ohne Weiteres durchsetzen.
Ich denke, es sind viele gute, exzellente Erfahrungen gemacht worden. Wir sind da im Normsetzungsprozess ein ganzes Stück weiter gekommen. Dieses Engagement gibt uns die Chance, bei der weiteren Arbeit an der Norm eine sehr aktive Rolle zu spielen.

Es wirkt für mich so, als ob in der Norm vor allen der Stand der Dinge wiedergegeben wird, so wie technische Dokumentation im deutschen Raum gelebt wird. Wie sehen Sie dies?

JH: Das sehen Sie richtig. Normen beschreiben immer den Stand der Technik. Ich stelle einfach mal die These auf: Jeder, der vernünftige technische Dokumentation betreibt, wird überhaupt keine Probleme haben, die Norm einzuhalten. Der entscheidende Aspekt der Norm ist ihre Prozessorientiertheit. Die Aufgabe sollte daher sein, sich die Prozesse im eigenen Haus anzusehen und zu prüfen, ob alles normgerecht abläuft. Dazu gibt die Norm Anlass. Wie gesagt, Sensationen waren von der neuen Norm nicht zu erwarten, da es eine Überarbeitung und keine Neuerstellung sein sollte.

Eine Fee zu Besuch

Zum Schluss möchte ich Sie bitten, sich vorzustellen: Sie würden Besuch von einer Fee bekommen und Sie hätten 3 Wünsche für die technische Dokumentation frei.

JH: Ich wünsche mir, dass die rechtlichen Konsequenzen der technischen Dokumentation nicht mehr als Peitsche eingesetzt werden. sondern dass technische Dokumentation positiv besetzt wird. Es soll verstanden werden, dass technische Dokumentation auch als Marketing für gute Produkte zu sehen ist. Außerdem wünsche ich mir, dass die technische Dokumentation im Unternehmen endlich das Ansehen und den Stellenwert bekommt, die ihr gebührt.
Mein dritter Wunsch ist, dass technische Redakteure endlich selbstbewusst in Richtung Geschäftsführung argumentieren und ihre Meinung vertreten. Sie sollten dabei Rückgrat zeigen und sich nicht verbiegen lassen – insbesondere bei Billiglösungen.

Vielen Dank für Ihre Zeit und Geduld.

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