Scrum – als Märchen

Geschichten erzählen (auch Story telling genannt) wird als Methode in der Wissensvermittlung erfolgreich eingesetzt. Jeder hört gerne Geschichten. Leider nutzen nur wenige Lehrbücher die Methode des Erzählens. Der IT-Berater, Coach und Autor Holger Koschek hat sich getraut, die Prinzipien und Praktiken von Scrum und ihre Anwendung mit Hilfe eines Märchens zu vermitteln. Wie in jedem ordentlichen Märchen gibt einen König, einen Prinzen, einen Ritter, eine Hexe und Gespenst. Aschenputtel und ein Großväterchen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Außerdem kommen auch Drachen und ein Einhorn vor.

Das Buch, Geschichten vom Scrum: Von Sprints, Retrospektiven und agilen Werten (2009), ist eine spielerische Einführung in Scrum und sehr lesenswert.

Es war einmal ein Königreich namens Wieimmerland. Seine Ländereien lagen an den Ufern eines mächtigen Stroms, dem Mainstream. Aus einem beeindruckenden Gebirge kommend, stürzte der Mainstream als Kaskade von Wasserfällen viele Meter in die Tiefe. Dem Rauschen dieser Wasserfälle wurde eine beruhigende, geradezu einlullende Wirkung nachgesagt …

Das Land Wieimmer
Mit diesem Absatz beginnt die wunderbare Geschichte. In dem Land Wieimmer mit seinen Wasserfällen scheint alles in Ordnung zu sein, nur die Überfälle der Drachen stören. Gegen diese Störenfriede werden Fallen eingesetzt, die mehr oder weniger gut funktionieren. Diese Fallen unterliegen der ständigen Perfektionierung. Nun führt der König eine Neuerung ein, er will eine neue Falle nach dem agilen Vorgehen Scrum entwickeln lassen.

Das Buch ist sehr gut geschrieben und mit netten Illustrationen (Playmobil-Figuren) gespickt. Als ausgezeichnet habe ich die Wortwahl wie „Wieimmerland“, der Fluss „Mainstream“, die einlullende Wirkung der Wasserfälle empfunden. Schön auch wie Holger Koschek die Hierarchie des Wieimmerlandes schildert und das idealtypische Miteinander im Land Scrum.

Das Zwichenmenschliche
Märchen haben meist ein Happy End, auch dieses fehlt der Scrum-Geschichte nicht, vorher müssen die Protagonisten noch einige Abenteuer bestehen. Wir als Leser haben das Vergnügen, mitzuerleben, wie die einzelnen Projektmitarbeiter die Werte und Prinzipien von Scrum wahrnehmen und umsetzen. Diese Entwicklung verläuft nicht gradlinig. Das Auf und Ab, wie wir es alle aus Projekten kennen, wird gut beschrieben. Fast ganz nebenbei erklärt der Autor die Prinzipien und Hintergründe des agilen Verfahrens. Sehr eindringlich schildert zum Beispiel die Rolle, Verantwortung und Aufgabe des Scrum-Meisters und des Produktverantwortlichen.
Ungeachtet des märchenhaften Projektverlaufs geht der Erzähler auf sehr viele unterschiedliche Aspekte der Projektarbeit ein. So setzt er sich kritisch mit einer möglichen (nicht unrealistischen) Personalunion des Produktverantwortlichen und des Scrum-Meisters oder auch der Kopplung der Rollen des Scum-Meisters und des Vorgesetzten der Mitarbeiter auseinander. Die Problematik der Vermischung der Rollen zeigt er u. a. in Bezug auf die wichtigen Vier-Augen-Gespräche. Eine klare Rollentrennung kann helfen, eine vertrauliche Atmosphäre in diesen Gesprächen zu erzeugen, so dass sie zu einem erfolgreichen Instrument des Scrum-Meisters werden. Insgesamt beleuchtet Herr Koschek sehr kenntnisreich die zwischenmenschlichen Aspekte und Dynamiken der Projektarbeit. Dabei wird deutlich, dass „die wahren Herausforderungen nicht in der Fachlichkeit zu suchen sind, sondern im menschlichen Miteinander.“ (S. 138) Angemerkt sei, dass das Zwischenmenschliche nicht nur im Rahmen von agilen Projekten eine entscheidende Rolle spielt, sondern auch in Projekten, die anderen Prinzipien folgen.

„Wer testet, verliert.“
Auch die Zweifel und Vorbehalte gegenüber dem neuen, unbekannten Vorgehen von Scrum spart der Autor nicht aus. Die Schwierigkeiten einzelner Projektmitarbeiter, als sie eigenverantwortlich und eigenständig sich selbst Aufgaben auswählen müssen, schildert der Autor nachvollziehbar. Wer kennt nicht die typischen Sprüche „Wer testet, verliert.“ „Wer testet, ist unsicher.“ Auf die Vorbehalte und die Probleme, alle Mitarbeiter von der Notwendigkeit permanent zu testen, geht der Autor ebenfalls ein und zeigt idealtypische Überzeugungsmöglichkeiten auf.

Fazit
Natürlich ist Holger Koschek eine Verfechter der agilen Projektarbeit, in seiner Schlussbetrachtung unterstreicht er aber, dass für ihn Scrum kein Allheilmittel ist. „Der Unterschied zu vielen anderen Projekten aber ist, dass wir diese Probleme offen angesprochen haben, um anschließend zu versuchen, sie zu lösen – und das nicht nur einmalig, sondern grundsätzlich. Das funktioniert deshalb so gut, weil die schonungslose Transparenz die Fehler schneller und deutlicher aufdeckt.“ (S.239)
Insgesamt vermittelt das Märchen einen guten Einblick in die Werte und Grundprinzipien von Scrum. Insbesondere für Einsteiger in die Welt der agilen Projektarbeit ist das Buch sehr geeignet. Der Autor lässt uns hinter einige Kulissen der agilen Vorgehensweise blicken. Mir hat die konsequente Nutzung der Methode „Geschichten erzählen“ sehr gefallen. Es ist nur zu hoffen, dass mehr Sachbuchautoren den Mut haben, uns Märchen zu erzählen. Mit Sicherheit gibt es Bücher, die tiefer in die Materie einsteigen.

Holger Koschek, Geschichten vom Scrum: Von Sprints, Retrospektiven und agilen Werten, dpunkt Verlag; 2009
ISBN-10: 3898646408, ISBN-13: 978-3898646406

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