Soft Skills in der technischen Redaktion

Immer wieder kommen wir in eine Situation, einer anderen Person Feedback zu geben. Aber was und wie es sagen? Das von dem Hamburger KommunikationswissenschaftlerFriedrich Schulz von Thun entwickelte Werte- und Entwicklungsquadrat kann helfen. Sie können das Quadrat sowohl für sich selbst einsetzen, um Ihre eigene Sicht zu erweitern, als auch als Grundlage bzw. Vorbereitung eines Gespräches.

Werte- und Entwicklungsquadrat

Schulz von Thun hat aus dem Werteviereck des PsychologenPaul Helwig das Werte- und Entwicklungsquadrat entwickelt. Auf seiner Homepage fasst der Kommunikationswissenschalfter den Grundgedanken des Entwicklungsquadrats wie folgt zusammen: „Jeder Wert (jede Tugend, jedes Leitprinzip, jede menschliche Qualität) kann nur dann seine volle konstruktiven Wirkung entfalten, wenn er sich in ausgehaltener Spannung zu einem positiven Gegenwert, einer “Schwesterntugend” befindet. Ohne diese Balance verkommt ein Wert zu seiner entwerteten Übertreibung.“
Es geht darum, die „rechte Mitte“ zwischen zwei (fehlerhaften) Extremen zu finden. Diese Mitte lässt sich als eine Balance zwischen zwei Lastern vorstellen (zu viel des Guten/zu wenig des Guten). Diese Mitte ist individuell und nicht statisch sondern dynamisch. Nach den Vorstellungen von Schulz von Thun gibt es keine per se schlechten, bösen Eigenschaften, sondern ausschließlich negative Übertreibungen: Etwas zu viel des Guten. Damit verbunden ist die Grundhaltung, dass in problematischen Eigenschaften auch immer erhaltenswerte Bestandteile existieren. Nach Meinung von Schulz von Thun lautet die Frage: Was ist hier lediglich etwas zu viel des Guten? In jedem Menschen „schlummert“ zu einer beobachteten Eigenschaft ein Gegenpol, den es zu erkennen und zu wecken gilt.

Wertequadrat

Wertequadrat nach Helwig

Wertequadrat mit den Tugenden Sparsamkeit und Großzügigkeit


Wenn jemand sparsam ist, wird dies in der Regel positiv bewertet. Diese Sicht kann kippen, wenn dem Sparsamen eine gewisse Großzügigkeit fehlt. Dann domminiert der Geiz. Auch die Kehrseite birgt Gefahren. Großzügige Menschen sind wunderbar, eine gewisse Sparsamkeit schützt sie vor Verschwendung.

Das Verhältnis zwischen den positiven Werten (Tugenden, Schwestertugenden) bezeichnet der KommunikationswissenschaftlerFriedrich Schulz von Thun als „positives Spannungsverhältnis“ oder auch als „dialektischen Gegensatz.“ Die senkrechten Linien sind die sogenannten „entwertenden Übertreibungen.“ Die Verbindung der beiden Unwerte bezeichnet er als „Überkompensation.“

Beispiel
Ein Redaktionsleiter hat eine Mitarbeiterin, die ihm häufig widerspricht und scheinbar alles besser weiß. Er empfindet das Verhalten als aufsässig. Diesen Begriff trägt der Leiter in einer der beiden unteren Positionen des Vierecks (entwertende Übertreibung) ein. Als Nächstes kann er zu den positiven Werten aufsteigen und die Frage beantworten: Was ist der positive und erhaltenswerte Kern von Aufsässigkeit? Von was ist „zu viel des Guten“ in Aufsässigkeit? Der positive Gegenpol könnte Eigensinnigkeit oder Selbstständigkeit sein. Damit hätte der Leiter eine Seite des Wertequadrats gefüllt (Eigensinn oben und darunter Aufsässigkeit). Im nächsten Schritt überlegt sich der Leiter, was in seinen Augen das extreme und ebenso unerwünschte Gegenteil von Aufsässigkeit ist. Dies könnte ein Mitarbeiter sein, der nie seine Meinung sagt und nie irgendwo ‚aneckt‘. Als Schlagwort fällt dem Leiter Angepasstheit ein. Diesen Begriff schreibt er in die untere Ebene des Quadrats und geht dann zu dem zugehörigen oberen Feld. In dieses Feld gehört die Schwestertugend von Eigensinnigkeit. Was ist die ausgleichende Ergänzung zur Eigensinnigkeit, damit jemand nicht in sture Eigensinnigkeit verfällt? Oder anders ausgedrückt: Von was hat ein angepasster Mensch zu viel? Vielleicht könnte Einordnung oder Unterordnung dem Redaktionsleiter sinnig erscheinen. Bitte beachten Sie, dass die Begriffe und ihre Bewertung immer individuell sind. Es gibt weder richtige noch falsche Wertequadrate.
Wertequadrat_Aufsaessigkeit
Die Mitarbeiterin verfügt über beide Tugenden (Eigensinnigkeit und Einordnung). Durch die Würdigung der darin enthaltenen positiven Eigenschaften hat der Redaktionsleiter bereits eine gute Ausgangsbasis für ein konstruktives Gespräch mit der Mitarbeiterin geschaffen. Die Frage, die sich nun stellt, ist: Wie aus dem „zu viel des Guten“ etwas weniger wird? Und wie lässt sich die dazugehörige Schwestertugend aufbauen, ohne die positiven Seiten der Aufsässigkeit einzubüßen. Es geht um ein „Sowohl als auch“ und nicht um ein gegenseitiges Ausschließen. Diese Aspekte will der Redaktionsleiter im nächsten Mitarbeitergespräch mit seiner Mitarbeiterin besprechen. Für die Illustration der möglichen Entwicklung zieht der Redaktionsleiter eine Diagonale zwischen dem Feld „Aufsässigkeit“ und „Einordnung“, auf diese Weise entsteht ein Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun.

Fazit
Mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat haben wir meines Erachtens ein gutes Hilfsmittel für die Selbstreflexion wie auch z. B. für die Vorbereitung von Mitarbeitergesprächen. Ich habe sehr gute Erfahrungen gemacht, mit Hilfe eines Quadrates Situationen einzuschätzen und meine Interventionsmöglichkeiten zu überlegen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Ausprobieren. Möchten Sie Unterstützung im Bereich Kommunikation? Ich freue mich auf Ihre Nachricht und unterstütze Sie sehr gerne.

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